Das Evangelium ist auch politisch

Die Diskussion ist nicht neu: Die Kirche müsse dezidierter Stellung beziehen zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen, fordern die einen. Die Kirche soll das Wort Gottes verkünden und das Politisieren lassen, wollen die andern. Für die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn geht das durchaus zusammen, denn die Verkündigung des Wortes Gottes hat durchaus auch einen politischen Aspekt.

"Er stösst die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen", zitiert das Neue Testament Maria, die Mutter Jesu (Lk.1,52) Unpolitisch? Die mächtige Kirche des Mittelalters war keineswegs dieser Ansicht – und setzte den für sie gefährlichen Lobgesang der Maria kurzerhand auf den Index. Selbst wer die Bibel nur flüchtig liest, wird feststellen: Immer wieder steht sie auf der Seite der Armen, Unterdrückten und Benachteiligten.

Die Bibel ist zwar weder ein Parteimanifest noch eine Gebrauchsanweisung für die Gesellschaft. Doch sie bezieht Stellung in ethischen Fragen. Sie stellt sich auf die Seite der Ausländer, der Armen, der Benachteiligten, der Unterdrückten, der Schwachen. Sowohl im Alten wie im Neuen Testament stellten sich die Autoren der Bibel gegen die Herrschenden und gegen ein System, welches diese zu Lasten der Mehrzahl der Menschen noch mächtiger werden liess.

Evangelium ganzheitlich verstehen

Grund genug für die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, es ihr gleich zu tun und sich zu bestimmten Themen ebenfalls und in ihrem Sinne vernehmen zu lassen. Dies im Sinne eines Evangeliums, das ganzheitlich verstanden wird, ohne die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte auszuklammern. Sie meldeten sich zu Wort im Zusammenhang mit Abstimmungen oder anderen politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen. Sie setzten aber oft auch unabhängig von äusseren Ereignissen ihre eigene Agenda.

Dabei sahen die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn von Alleingängen ab. Bei eidgenössischen Abstimmungen stellten sie in der Regel auf entsprechende Stellungnahmen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds SEK ab. Häufig wurden auch gemeinsame Stellungnahmen mit der Römisch-katholischen Kirche, der Christkatholischen Kirche und der Interessengemeinschaft jüdischer Gemeinden im Kanton Bern verfasst.

Von Minaretten und Secondos

Im vergangenen Jahrzehnt kam es zu einer Reihe von eidgenössischen oder kantonalen Abstimmungen, von denen Migrantinnen und Migranten direkt betroffen waren. So etwa die Abstimmungen über das Asylgesetz 2006 oder die Minarettinitiative von 2009. Da sich die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn grundsätzlich auf die Seite der Schwächeren stellen, bezogen sie dabei Stellung für eine Politik, welche Ausländerinnen und Ausländern hilft, sich in der Schweiz zu integrieren. Ohne tatsächliche Probleme auszublenden, wehrten sie sich gegen eine populistische Politik, welche die ausländische Bevölkerung zu Sündenböcken stempeln und in Sippenhaft nehmen will.

Auf der anderen Seite setzten sich die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn für die bessere Integration der hier ansässigen ausländischen Bevölkerung ein. So befürworteten sie etwa 2004 die Einbürgerungsinitiative, da die Einbürgerung gut integrierter Ausländerinnen und Ausländer der zweiten und dritten Generation ein positives Zeichen des Vertrauens und des Willkommens setze.

Menschenwürde statt Steuersenkungen

Auch wo es um die Menschenwürde der Menschen in unserem Land ging, setzten sich die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn ein. 2001 stand die Revision des Sozialhilfegesetzes auf der Berner Traktandenliste. Hier stand die Forderung nach einer existenzsichernden Sozialhilfe für alle Menschen, die eine solche benötigen, im Vordergrund. Umgekehrt wehrten sie sich 2005 gegen Steuersenkungen, soweit diese zu Lasten sozial Benachteiligter gingen. 2006 setzten sie sich für einheitliche Kinderzulagen ein, da Familien überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen sind.

Themen wie die Sterbehilfe oder die Abtreibungsfrage gaben auch intern Anlass zu Diskussionen. Denn einerseits sind die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn für den Schutz des Lebens von der Zeugung bis zum Tod. Auf der anderen Seite jedoch kann nach ihrer Sicht nicht jeder Einzelfall gleich bewertet werden. Um Schlimmeres zu verhindern, sei es nötig, den einzelnen Betroffenen nicht vorzuschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätten.

Pfarr- und Lehrstellen

Auch in eigener Sache liessen sich die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn vernehmen. Etwa, als der Kanton 2002 rund 30 Pfarrstellen streichen wollte; dabei verweigerten sie sich nicht einfach, forderten aber ein Mitspracherecht. Im selben Jahr wurde die Neuverteilung der Pfarrstellung auf die Gemeinden mitgeteilt.

Manchmal hatten die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn auch Positives zu verkünden. So etwa 2006, als die Zahl der Lehrstellen in der Verwaltung auf drei erhöht wurde. Oder 2008 die Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung" von Täufern und Reformierten.

Thomas Uhland