Die Kirche spricht Klartext an der Schnittstelle zur Arbeitswelt

Der Wirtschaftsethiker Lukas Schwyn, heute tätig als Pfarrer in Signau und Ethikprofessor an Hochschulen, leitete bis 2004 die Fachstelle Wirtschaftsethik der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Er leistete einen wesentlichen Beitrag dazu, dass eine an Nachhaltigkeit orientierte Verantwortungs-Ethik in der Berner Wirtschaft und in den Kirchgemeinden zu einem Gesprächsthema wurde.

Lukas Schwyn, wenn Du Dich zurückerinnerst an Deine Zeit mit Fokus Wirtschaftsethik, wo hast Du den Eindruck gehabt, dass unsere Kirche für andere Hoffnungsträgerin sein konnte? Gab es Erfahrungen, die Dich selbst motiviert und beflügelt haben?

Als ich mich mit dem Thema Wirtschaftsethik vermehrt zu beschäftigen begann, befand sich die Wirtschaftsethik gerade am Anfang einer rasanten Entwicklung. Während sich Theologen wie Arthur Rich und Oswald von Nell-Breuning schon länger mit wirtschaftethischen Themen auseinandergesetzt hatten, war an der Universität St. Gallen eben der erste Lehrstuhl für Wirtschaftsethik im deutschsprachigen Raum eingerichtet worden, zu dem dann viele weitere hinzukamen. Das Interesse an wirtschaftsethischen Überlegungen nahm zu und dies bot der Kirche die Gelegenheit dieses Thema auf's Tapet zu bringen. Durch Veranstaltungen und Gesprächskreise erreichten wir Verantwortliche aus der Wirtschaft, die sonst wenig Verbindung zur Kirche hatten. Wir konnten diejenigen unterstützen, die wirtschaftsethische Überlegungen in die Wirtschaftspraxis einbringen wollten und das erfreuliche war, zu erfahren, dass die Kirche in ethischen Fragen respektiert ist und ernst genommen wird.

Dein Name war in den Kirchgemeinden ein Symbol für differenzierte Überlegungen zu ethischen, vor allem wirtschaftsethischen Themen. Du nahmst mit Deiner Tätigkeit in Anspruch, dass die Kirche im Unternehmensbereich etwas zu sagen hat. Welche Auswirkungen hatte das auf unsere Kirche und wo wäre es heute deines Erachtens nötig, an der Schnittstelle zu Gesellschaft und Arbeitswelt den Dialog zu suchen?

Wenn wir die Entwicklungen in den letzten Jahren betrachten: Bankenkrise, Finanzkrise, Schuldenkrise usw., dann ist es ja offensichtlich, dass die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt und in der Wirtschaft ungeheuer starke Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben. In der Schweiz sind wir zwar bisher noch gut weggekommen, aber in vielen Ländern leiden die Menschen schwer unter der Schuldenlast, den Sparprogrammen und der Brutalität der globalen Märkte. Es ist ganz klar: Die Kirche muss sich zu diesen Entwicklungen äussern, sonst ist sie nicht ernst zu nehmen und nicht glaubwürdig. Mit der Studie "Gerechtes Haushalten und faires Spiel" hat dies der SEK getan. Die Oeme-Stellen und kirchlichen Hilfswerke bringen zudem die Ungerechtigkeiten auf dem globalen Markt zur Sprache. Das ist eine wichtige und notwendige kirchliche Arbeit, die da geleistet wird. Was die schweizerischen Realitäten angeht, so wären für mich heute aktuelle Themen: Die zunehmend grenzwertige Belastung von Arbeitnehmenden. Der (Aber-)Glaube an's Bankgeheimnis und das Schwinden der sozialen Kompetenz in den Führungsetagen.

Du hast mit Deinem Engagement die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn mit sozial denkenden Unternehmen und Institutionen in der Arbeitswelt vernetzt. Welche Bedeutung für die Zukunft unserer Berner Kirche missest Du dieser Vernetzungsarbeit zu?

Die Kirche kann nicht nur fordern, dass Unternehmen sozial sind und umweltgerecht handeln. Sie sollte auch da präsent sein, wo sich Menschen und Unternehmen darum bemühen, dass diese Forderungen auch tatsächlich umgesetzt werden. Es ist darum wichtig, dass VertreterInnen der Kirche in Institutionen mitwirken, wo diese Umsetzungsarbeit konkret getan wird. Ich habe aus diesem Grund 10 Jahre im Netzwerk für sozial verantwortliche Wirtschaft NSW mitgewirkt und dies hat dann u.a. auch dazu geführt, dass unsere Kirche das erfolgreiche Projekt LIFT für gefährdete Jugendliche im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt unterstützt hat. Verantwortliche der Wirtschaft müssen erleben können, dass die Kirche nicht nur Forderungen an sie stellt, sondern bei der Umsetzung dieser Forderungen auch mitwirkt. Dann ist für sie Kirche glaubwürdig und dann können sie auch akzeptieren, dass sie juristische Kirchensteuern bezahlen müssen. Das könnte für die Zukunft der Berner Kirche konkret sehr bedeutsam sein.

Thomas Schweizer