Finanzielle Entwicklung "wider Erwarten günstig"

Die Kirchgemeinden werden vorsichtig – und erfinderisch

Der Konjunktur in den ersten zwei Dritteln der Dekade verdanken es die Kirchgemeinden, dass ihre Steuererträge zunahmen. Ein Sechstel der Zunahme, die 1.5 Prozent betrug, ging auf erhöhte Steueranlagen zurück. Auf der Ausgabenseite wecken drohende Abhängigkeiten die Wachsamkeit. Die Finanzgremien sind vorsichtiger geworden.

Alles fliesst! Auch bei der Hauptertragsquelle der Kirchgemeinde – den Steuererträgen – ist es beruhigend zu wissen, dass der Mittelzufluss im groben Rahmen geregelt ist und funktioniert. Die Kirchensteuern sichern zu rund 80 Prozent die Ertragsseite, im Mittel wenigstens. Und dieses Verhältnis hat sich im Laufe der Dekade auch nicht verändert.

Das impliziert, dass sich das ökonomische Denken im Sinne von "konkrete Leistung gegen konkretes Entgelt" nicht übertrieben stark entwickelt hat. Noch nicht! Willy Oppliger, Leiter Zentrale Dienste der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn, erkennt ein Umdenken, ablesbar an neuen oder verbesserten Reglementen. "Kostendeckung" lautet das Stichwort für den Umgang mit Gebühren. Oder "Verursacherprinzip". 2005 erschienen Richtlinien für kirchliche Trauungen und Bestattungen. Für die Bestattung von Personen, die nicht der evangelisch-reformierten Kirche angehörten, wurden Gebühren angesetzt, was evangelisch-reformierte Angehörige zunächst irritieren konnte.    

So oder so blieben die Steuererträge der Hauptgradmesser für die Beurteilung der finanziellen Situation einer Kirchgemeinde. Zusammengerechnet ergaben sie 2001 im Kanton Bern 142,5 Millionen Franken. Bis 2008 war ein Anstieg zu verzeichnen, nämlich auf 170 Millionen. Dann ging es zurück, auf 163,9 Millionen im Jahr 2010. Damit bildeten die Kirchensteuern den gesamtschweizerischen Wirtschaftsverlauf ab. 2008/9 herrschte Rezession, die schweizerischen Exporte beispielsweise dümpelten in einem Jahrzehnt-Tief. Das zeitigte Folgen beim Steuersubstrat.

1.5 Prozent mehr Kirchensteuer-Erträge pro Jahr

Per Saldo ergab die Dekade bei den Kirchensteuern ein von 2.5 auf 1.5 Prozent abgeschwächtes jährliches Gesamtwachstum. Dabei muss man berücksichtigen, dass gesamthaft ein Mitgliederrückgang von einem Prozent pro Jahr zu verzeichnen war und natürlich die Steueranlage der Kirchgemeinden variierten. Überblickt man alle Berner Kirchgemeinden, so erhöhte sich die mittlere Steueranlage von 0.202 (2001) auf 0.207 (2010). Damit waren jedes Jahr ein Sechstel der 1.5 Prozent Wachstum rein anlagebedingt. Das war nötig, damit die Kirchgemeinden ihre wachsenden Aufgaben wahrnehmen konnten.

"Wir sind froh", sagt Willy Oppliger, "dass wir den Mitgliederschwund dank des konjunkturellen Wachstums finanziell mehr als auffangen konnten. Es blieb deshalb, wenn man die Anpassung der Steueranlagen nicht einbezieht, ein Wachstum von 1.25 Prozent." Die finanzielle Entwicklung ist "wider Erwarten günstig" verlaufen. "Die Situation bei den Einnahmen ist gut", fasst Oppliger zusammen. "Den Kirchgemeinden geht es mehrheitlich nach wie vor gut. Das hängt allerdings auch mit den grossen Anstrengungen zusammen, die Aufwandseite im Griff zu behalten."

Neue Aufgaben – neue Kosten

In der Tat bedroht der gesellschaftliche Druck, neue Aufgaben zu übernehmen, die Ausgabenseite sehr stark. Dazu kommen parallel laufende Sparbemühungen des Staates. Das konnte und kann kritisch werden, gerade für die Schwächsten der Gesellschaft. Diesen zu helfen hat die Kirche aber gerade auf ihr Banner geschrieben. Wie sich aus dieser Not heraushelfen?

Willy Oppliger nennt als ersten Lösungsansatz die Freiwilligenarbeit. Diese müsste nicht nur mehr Hände, sondern auch mehr Anerkennung finden. Mehr noch: In die Freiwilligenarbeit müsste mehr Professionalität Eingang finden. Das setzt zwar Massnahmen voraus, die etwas kosten. "Aber langfristig wirkt dies entlastend", sagt Oppliger. Die Finanzgremien werden erfinderisch.

Generell stellt er bei den Kirchgemeinden eine "vorsichtiger" gewordene Finanzpolitik fest, ein vermehrtes Kostenbewusstsein und damit auch eine "finanziell konservativere Haltung". Diese schützt vor Abenteuern.  

Interessant findet Willy Oppliger, wenn man auf neuen Bedarf reagiert und gleichzeitig die Mehrkosten auf sinnvolle Weise kompensiert. Das ist zum Beispiel bei den Liegenschaften möglich, wo eine Kirchgemeinde mit einer andern Kirchgemeinde zusammenarbeiten kann – oder mit der Einwohnergemeinde, mit der auch die Verwaltungsaufgaben gemeinsam erbracht werden können. Angesichts der gegebenen Strukturen und der unterschiedlichen Kulturen hält er diese Möglichkeiten jedoch für begrenzt.

Mit der Übernahme der bisher vom Staat gehaltenen Pfarrhäuser übernimmt eine Kirchgemeinde auch Unterhaltskosten und die Risiken beim Vermieten. Das erklärt auch die Zurückhaltung, mit der die Kirchgemeinden solche Käufe angingen. Die verfügbaren Mittel, so ihre Argumentation, sollen ja vor allem für kirchliche Dienstleistungen an den Menschen eingesetzt werden. Willy Oppliger stellt allerdings fest, dass in den letzten zehn Jahren weniger kirchliche Bauten erstellt wurden als in den Neunzigern. Am stärksten fällt noch der Unterhalt ins Gewicht.

In den letzten zehn Jahren ist es glücklicherweise nicht vorgekommen, dass wesentliche Aufgaben nicht wahrgenommen werden konnten. Zwar kann eine Kirchgemeinde, wenn der Staat spart, sich selber einbringen. Aber: So grenzenlos kann dieser Vorgang nicht sein. "Irgendwann schlägt der staatliche Spardruck durch", sagt Oppliger.

Keine Überschuldung

Seit 2007 erhebt der Kanton die Zahlen der Gemeinden und stellt Vergleiche an, die er auswertet. Das Ergebnis darf man mit der Aussage zusammenfassen: Die finanzielle Situation ist gesund. Die Bilanzen zeigen, dass es keine Überschuldung gibt. Nur wenige Kirchgemeinden sind hoch verschuldet, die meisten verfügen über eine komfortable Eigenkapital-Basis. Willy Oppliger geht sogar so weit zu sagen, dass die Kirchgemeinden im Vergleich mit Einwohnergemeinden "eine viel sicherere Finanzlage" aufweisen – eine Folge der konservativen Haltung. Ihre Haushalte sind auch bedeutend kleiner dimensioniert, was Reserven umso notwendiger erscheinen lässt.  

Aber es gibt unter den Kirchgemeinden grosse Unterschiede. Einige müssen mit sehr wenig Geld ihre Aufgaben erfüllen und sind angesichts ihrer geringen Steuerkraft auf die Mittel des Finanzausgleichs angewiesen. Unterschiedliche Lagen, unterschiedliche Strukturen, Abhängigkeiten von den Erträgen juristischer Personen, dies alles kann den Finanzhaushalt so oder anders belasten und den Spielraum der Kirchgemeinden einengen. Davor sind auch grosse Kirchgemeinden – Bern und Biel etwa – nicht geschützt.

Dem Jurasüdfuss entlang gibt es Kirchgemeinden, deren Finanzhaushalt aus den genannten Gründen stärkeren Schwankungen unterliegen. "Die wirtschaftliche Entwicklung nach 2008", stellt Willy Oppliger fest, "bekamen die grösseren Städte und Agglomerationen ganz deutlich zu spüren."

Abhängigkeiten: die Vorsicht wächst

Trotzdem hat sich die Finanzlage 2007 bis 2010 nur in geringem Rahmen verändert. "Sie blieb, über alles gesehen, stabil." Der konjunkturbedingte Einfluss hielt sich im Laufe der Dekade in Grenzen. Juristische Personen reagieren indessen rascher und stärker auf das wirtschaftliche Auf und Ab. Ihre Kirchensteuern machten im Mittel zwölf Prozent der Gesamterträge aus, aber die damit verbundenen Schwankungen wirkten sich eben nicht in jeder Kirchgemeinde gleich aus. Bei rund einem Drittel aller Kirchgemeinden kann man von solchen Abhängigkeiten sprechen. Deshalb ist hier die Vorsicht beim Budgetieren umso grösser, die langfristige Perspektive nicht ohne weiteres ablesbar.

Die Finanzverantwortlichen der Kirchgemeinden sind vorsichtiger geworden, die Gremien werden stark gefordert.

Ronald Roggen

 

Die Landeskirche: vorsichtig, aber verlässlich

rro. Die finanzielle Entwicklung der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kt. Bern folgte dem Haupttrend der Kirchgemeinden. Das heisst: Der finanzielle Druck auf sie hat zugenommen, Fremdeinflüsse bewirken unsichere Situationen, der vom Kanton ausgehende Spardruck schlägt durch. Obwohl der Verkauf des Gwatt-Zentrums langfristig entlastend wirkte und wirkt, musste die Landeskirche überaus vorsichtig operieren. Es galt ja auch, Anpassungen - etwa bei der Pensionskasse - gut durchzustehen.

Die wirtschaftlichen Vorgänge wirkten sich natürlich sehr direkt aus, was vor allem auch für den klar festzustellenden Einbruch um 2008 zutraf. Wenn die Landeskirche auf der sicheren Seite sein wollte, musste sie Jahr für Jahr mit wachsender Vorsicht die "Zukünfte" einschätzen. So blieb sie im Laufe der Dekade ein verlässlicher Partner – vor allem auch für die Kirchgemeinden. Bei diesen konnte sie sogar durch Rabatte die Probleme abfedern helfen. In ihrer Finanzstrategie blieb die Landeskirche für alle Partner erkennbar. Dies gilt auch für das gesamtschweizerische Zusammenwirken der reformierten Landeskirchen. Als grösste reformierte Landeskirche der Schweiz geriet Refbejuso in den vergangenen 10 Jahren zunehmend unter Druck. Bei der Erarbeitung des Verteilschlüssels für die Finanzierung der gemeinsamen Aufgaben resultierte denn auch eine leichte Erhöhung des Anteils. Zusammen mit der Zürcher Landeskirche tragen die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn nun mehr als 50% der Kosten von gemeinsamen Aufgaben. 

So konnte die Landeskirche – durch wohlüberlegte Zurückhaltung auf der Ausgabenseite – ihre Sicherheit wahren. Damit ist es ihr gelungen, für die nächste Dekade eine gute finanzielle Basis zu schaffen. Das ist mit Blick auf ihre Aufgaben von unschätzbarem Wert.

Das Geschenk der Freiwilligen

rro. In der Rechnung der Kirchgemeinden "gewinnen" die Personalkosten an Bedeutung. Deshalb ihr grosses Interesse am Support von Freiwilligenseite. Deren Aufwand erscheint nirgends auf den Jahresabschlüssen. Die Freiwilligen schenken ihre Arbeit. Wie, wenn eine Kirchgemeinde deren Arbeitsaufwand auf der Kostenseite und deren Geschenk auf der Ertragsseite verbuchen würde? Refbejuso hat sich in den vergangenen 10 Jahren stark für die Anerkennung und den transparenten Ausweis von Freiwilligenarbeit eingesetzt.

Vergl. auch Bericht zur "Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement als Fundament für die Kirchen - gestern, heute und morgen?"