1981 – 1990 Max Ulrich Balsiger

Kirche von unten | Vom Wert der Ortsgemeinde

Jahrzehntbericht 1981 – 1990. Verfasst von Max Ulrich Balsiger Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Bern Evangelisch-reformierter Synodalverband Bern-Jura, 75 Seiten.

Dem achten Jahrzehntbericht ging eine Vorbefragung der Kirchgemeinderäte voraus, um deren Wünsche und Erwartungen zu ermitteln und für die definitive Redaktion des Fragebogens Anregungen zu sammeln. Die eingegangenen Antworten brachten deutlich zum Ausdruck, dass in vielen Gemeinden ein Bedürfnis besteht zu vernehmen, wie andere Gemeinden organisiert sind, welche Angelegenheiten sie beschäftigen und welche Probleme sich ihnen stellen. Man möchte vergleichen können, um voneinander zu lernen. Damit bekam der Jahrzehntbericht eine klare Zielsetzung: Die Wirklichkeit des kirchlichen Alltages sollte erfasst und dokumentiert werden. Es galt deshalb, nach Messbarem und Vergleichbarem zu fragen und ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, was sich bewegt und im Lauf der Berichtsperiode verändert hat.

Die Zielsetzung nimmt aber noch ein grundsätzliches Problem auf. Bisher habe sich die Kirchengeschichtsschreibung fast ausschliesslich mit den Kirchenleitungen, Behörden und Räten befasst und was diese erklärt und wozu sie Stellung genommen haben, während die Profanhistoriker sich neuerdings eher um einen sozialgeschichtlichen Ansatz bemühen. Das wäre auch wünschenswert für die Kirchengeschichte, und so fällt für den Jahrzehntbericht der Entschluss, die Kirche von unten zu beschreiben und über das Alltagsleben der Ortsgemeinde zu beichten. Neu war ausserdem die professionelle Begleitung durch das Institut für qualitative Marketing- und Sozialforschung beim Zusammenstellen und der Redaktion der Fragen, neu war auch, dass die Antworten elektronisch erfasst und ausgewertet worden sind. Dieses Vorgehen ermöglichte es dem Berichterstatter, Ergebnisse in Prozenten aufzurechnen und damit vergleichbare Zahlen zu liefern. Als hilfreich erweisen sich hierzu die Statistiken und graphischen Darstellungen, die den Bericht auszeichnen.

Thematisch handelt der Bericht von der Gemeinde, dem Kirchgemeinderat, den Gemeindemitarbeitern, dem Pfarramt und dem Gemeindeleben. Im ersten Teil werden die Umfrageergebnisse vorgestellt, im zweiten Teil werden sie kommentiert.

Der Abschnitt über die Gemeinden enthält allgemeine Feststellungen, beispielsweise dass nach wie vor die Hälfte der Kirchgemeinden solche sind mit nur einem Pfarramt, wo im Kirchengebiet die kleinen und wo die grossen Kirchgemeinden liegen, wie sie organisiert sind und was ihre Finanzen anbelangt: Steuerfuss, Steuereinnahmen und Gesamtaufwand. Das zweite Kapitel ist dem Kirchgemeinderat gewidmet, wie dieser zusammengesetzt ist, wie oft er Sitzung hält, wie er sich organisiert beispielsweise durch Ressortaufteilung. Bedenklich stimmt, dass berichtet werden muss, wie viel die Kirchgemeinderäte zu tun haben mit Konflikten unter Pfarrern und Mitarbeitern. Es wird mitgeteilt, wie synodalrätliche Empfehlungen aufgenommen werden, auf welchen Wegen der Kirchgemeinderat seine Informationen bekommt, ob die gesamtkirchlichen Ämter in den Kirchgemeinden bekannt sind und in Anspruch genommen werden, und nicht zuletzt präsentiert das Kapitel eine Liste der zwölf in den Kirchgemeinderäten am meisten diskutierten Themen.

Es folgt das Kapitel zu den Gemeindemitarbeitern, über den Sigristen- und den Orgeldienst, über die Vermehrung und Neueinrichtung nichtpfarramtlicher besoldeter Gemeindemitarbeiterstellen – da ist praktisch eine Verdoppelung im Lauf der Berichtsperiode nachzuweisen. Es wird berichtet, welche Ausbildungen die Gemeindeangestellten mitbringen als Gemeindehelferinnen, Diakone, Katecheten, Jugendarbeiter und Erwachsenenbildner. Die wichtigsten Arbeitsgebiete der sozialdiakonischen Mitarbeiter werden aufgelistet und quantifiziert.

Im vierten Kapitel folgt das Pfarramt. Informiert wird über die Zusammensetzung des bernischen Ministeriums, über Studiengang und Studienabschluss. Zur pfarramtlichen Tätigkeit werden Zahlen geliefert über die gehaltenen jährlichen Gottesdienste, die Anzahl Taufen, Konfirmanden, Trauungen, Abdankungen, Unterrichtslektionen, um dann alles zusammengerechnet die zeitliche Beanspruchung im Pfarramt zu erfassen. Das Interesse gilt auch Fragen wie denjenigen nach der Mitarbeit der Pfarrfrau, oder welches die häufigsten Seelsorgefälle und Seelsorgefragen sind, wie die Freizeit geregelt ist und wie es um den Pfarrermangel steht.

Im Kapitel über das Gemeindeleben erscheinen die wohlbekannten Anlässe: Gottesdienst, Kirchensonntag, Weltgebetstag und was alles sonst im Lauf des Kirchenjahres auf den Programmen steht. Von speziellem Interesse sind auch hier die vergleichenden Zahlen, die darüber Auskunft geben, wie der Abendmahlsbesuch zugenommen hat, in welchen Gemeinden Christnachtfeiern oder Osternachtfeiern stattfinden, wie sich die Sonntagschule entwickelt und vieles andere mehr. Eine Bemerkung gilt dem zunehmenden Einzug der Mundart im Gottesdienst, eine andere der Zunahme von Bibelabenden und Hauskreisen. Sie ist ein Hinweis auf die wachsende Bedeutung der neben den organisierten Gemeindeanlässen sich auf eigene Initiative zusammenfindenden Gruppen. Es folgen noch ein paar Zahlen zur Kirchenmusik, zu Trauungen und Bestattungen, und so kann jede Kirchgemeinde die sie interessierenden Vergleiche anstellen.

Im anschliessenden Kommentar nimmt sich der Berichterstatter nicht etwa die Freiheit heraus, seine persönliche Meinung kundzutun, sondern er kommentiert in nicht unähnlicher Weise wie es vor ihm die Postulatenkommission getan hat, indem er darauf aufmerksam macht, welche Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen des Jahrzehntberichtes zu ziehen wären.

Bewegung ist wie in andere Landeskirchen auch in unsere Kirche gekommen durch die Schweizerische Evangelische Synode SES und von Seiten des Ökumenischen Rates der Kirchen durch den Konziliaren Prozess Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung GFS. Zu beiden Initiativen ist im Anhang je ein kurzer Bericht angefügt. Ebenfalls zum Anhang gehört die Statistik der gesamtkirchlichen Kollekten.

Das Nachwort des Berichterstatters ist dem Kirchenverständnis gewidmet. Es betont, auch wenn man sagen könnte, die Grundidee der Volkskirche sei problematisch geworden, so eröffne doch gerade der Blick auf die Ortsgemeinde Einsichten in immer noch gültige Werte und Chancen volkskirchlicher Strukturen.