Vorwort

Statement Gottfried Locher, Hans Herren, Urs Zürcher – Legitimation eines Jahrzehnteberichts

 

Mit dem Kirchengesetz von 1874 ist die staatliche Aufsicht über das Kirchenwesen an den Synodalrat übergegangen, soweit es sich um die innerkirchlichen Angelegenheiten handelt.

Seither erstattet der Synodalrat in regelmässigen Abständen der Synode Bericht über das religiöse, kirchliche und sittliche Leben in den Kirchgemeinden. Die Berichte wollen nicht in erster Linie verstanden werden als Kontrolle, sondern als Standortbestimmung und sollen der Besinnung dienen. Sie geben Auskunft über die vielfältige Tätigkeit der Kirche und weiten gleichzeitig den Blick über den kirchlichen Horizont hinaus auf das gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Umfeld. Die Berichte bezeichnen die Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart und Zukunft. Sie sind gekennzeichnet von Hoffnung und Gottvertrauen, ohne dabei Fehler und Schwächen der Kirche zu verschweigen.

Anfänglich umfasste die Berichtsperiode vier Jahre, so von 1874 bis 1909. Auf Grund der mehrfach geäusserten Erwägung, es liessen sich in der kurzen Zeit von vier Jahren nebst der Standortbestimmung kaum Entwicklungen feststellen, ist man übergegangen zum Jahrzehntbericht.

Als Grundlage der Berichterstattung dienten dem Synodalrat die Antworten, wie sie auf den zuvor an alle Kirchgemeinden verschickten Fragebogen eingereicht worden waren. Wiewohl allemal neu der Fragebogen bei einigen Pfarrherren oder Kirchgemeindebehörden auf Widerwillen gestossen ist, können die Erhebungen als repräsentativ bezeichnet werden.

Auf Grund der eingegangenen Antworten erstellte daraufhin eine vom Synodalrat ernannte Persönlichkeit den synodalrätlichen Gesamtbericht. Die einzelnen Berichterstatter sind dabei wenn nicht geradezu in eigenwilliger, so doch in sehr individueller Weise an ihre Arbeit herangegangen. Etliche schrieben umfangreiche Bücher, andere handliche Broschüren. Die einen legten das Hauptgewicht auf möglichst getreue und damit auch wörtliche Wiedergabe einzelner eingegangener Antworten, andere sahen sich dazu berufen, ihre eigene Betrachtungsweise und entsprechend auch ihre eigene Theologie einfliessen zu lassen. In beiderlei Hinsicht, was den Informationsgehalt und was die Interpretationsweise betrifft, was berichtet und wie gedeutet wird, handelt es sich um eindrückliche Zeitdokumente.

Als solche sind sie zu würdigen und zu verstehen.  Einzelne der behandelten Themen, die heute kaum mehr als aktuell erscheinen, nehmen einen breiten Raum ein, während anderes, was uns heute interessieren mag, in damaliger Zeit noch nicht im Vordergrund stand. Wertvoll für unsere Gegenwart sind die Berichte insofern, als sie uns vor Augen führen, was sich im  Verlauf der Zeit in Kirche  und Gesellschaft verändert hat, und gleichzeitig halten sie das Bewusstsein wach für das, was trotz aller Unruhe der alles verändernden Zeit bestehen bleibt.

Die nachfolgende Zitatensammlung berücksichtigt die 2863 Seiten sämtlicher Vierjahres- und Jahrzehntberichte und ermöglicht dadurch einen Einblick in die unserer Zeit unmittelbar vorausgegangenen 126 Jahre Kirchengeschichte. Thematisch ist die Auswahl so angelegt, dass sie dem heutigen Interesse entgegenzukommen sucht und gleichzeitig den Aussagen der Vergangenheit gerecht wird.

Die Meinung ist nicht, dass jemand das ganze Dokument von vorne bis hinten in einem Zuge liest. Durch Anklicken eines Titels oder eines Stichwortes kann vielmehr das entsprechende Kapitel einzeln gefunden und betrachtet werden.

Wiederholungen von ähnlich lautenden Aussagen zum gleichen Thema deuten darauf hin, dass ein Problem die Kirche während einer längeren Zeitspanne beschäftigt hat. Gegensätzliche Äusserungen zeigen, wie Gleiches unterschiedlich aufgenommen, erlebt und verstanden werden kann.

Sprachlich halten sich die Anpassungen im Rahmen. Die Rechtschreibung folgt, wenn auch nicht immer, dem heutigen Gebrauch. Für den Satzbau war es hin und wieder unumgänglich, aus einem Nebensatz durch Umstellen des Prädikates einen Hauptsatz zu machen.

Der Hinweis auf die Quelle erfolgt nicht wie üblich mit der Angabe einer Seitenzahl. Angezeigt wird vielmehr durch die entsprechende Jahrzahl, aus welchem der einzelnen Berichte ein Zitat stammt. Die chronologische Anordnung der Exzerpte ermöglicht so die zeitliche Einordnung einer Aussage.

Samuel Lutz

Samuel Lutz.