Kirchgemeinde Oberbalm 2004

Das Band

Eine anonyme Spenderin möchte der Kirche Oberbalm neue Chorfenster stiften und löst damit einen produktiven Diskussionsprozess über Kirche, Kunst und den Wert von unspektakulärem sozialen Engagement aus.

Mit Staunen erfuhr der Kirchgemeinderat im Sommer 2003 von einer anonymen Spenderin, die Geld für eine Umgestaltung der Chorfenster in der Oberbalmer Kirche anbot. Sie liess anfragen, ob wir Interesse hätten. Sie sei über 90 Jahre alt und habe eine glückliche Kindheit in Oberbalm verbracht. Im Alter werde ihr zunehmend bewusst, welch’ wichtige Vorbilder ihr die zwei ledigen Tanten waren, bei denen sie aufwachsen durfte. Die beiden hatten als Kindergärtnerinnen gewirkt, kranke Nachbarn gepflegt, Bedürftige besucht und im Stillen geholfen, wo es nötig war. Diesen beiden Frauen, Marie und Bertha Spycher, wolle sie mit einem Fensterbild in der Kirche ein Andenken setzen.

Eine bauliche Veränderung in einer denkmalgeschützten Kirche ist keine einfache Sache. In einem öffentlichen Gebäude dürfen nicht Einzelne nach ihrem Gutdünken den Raum verändern. Es musste eine Kommission aus Kunstsachverständigen, Vertretern der Kirchgemeinde, dem Stellvertreter der Spenderin und dem Denkmalpfleger gebildet werden. Sie schrieb das Projekt zum Wettbewerb aus. Dies setzte einige Überlegungen in Gang: Was charakterisiert diese Kirche? Was darf verändert werden und was muss erhalten bleiben? Welche Auflagen machen wir?

Vier Künstler wurden für einen Entwurf angefragt. Sie reichten je ein ganz eigenständiges Projekt ein. Nach intensiven Diskussionen entschied sich die Kommission für den Entwurf "Das Band" von Irene Schubiger und Mercurius von Weisenstein.

Nun stellte sich die Frage: Würde die Schenkende dieses Kunstwerk gutheissen? Oder würde sie, wenn ihr dieser Entwurf nicht gefiel, ihr Angebot zurückziehen? Und würde die Kirchgemeindeversammlung die Umgestaltung wollen? Oder würden es die Leute vorziehen, die Kirche so zu belassen, wie sie sie seit Jahrzehnten gewohnt waren?

Die Sache verlief überaus erfreulich: Frau Hanni Gfeller, die inzwischen aus der Anonymität herausgetreten war, liess sich alle vier Entwürfe zeigen und war geradezu begeistert von "Das Band". Die Kirchgemeindeglieder begutachteten die Projekte mit grossem Interesse, diskutierten lebhaft und… stimmten der Umgestaltung zu.

So kam 2004 ein neues Element in die von verschiedenen Stilepochen geprägte Kirche: Ein horizontales Band aus geätztem Glas und mit geschwungenen Bleiruten zieht sich über die drei Chorfenster und integriert die beiden ältesten Glasscheiben von 1527. Es wirkt zurückhaltend aber kraftvoll und sieht je nach dem Einfall des sich brechenden Lichtes immer wieder anders aus.

Die beiden Künstler verstehen es als "Band zwischen Gott und den Menschen, als Band der Stifterin zu den Bezugspersonen ihrer Kindheit, aber auch als Band zu dieser Gemeinde, metaphorisch auch als (Lebens-)Fluss, als Weg oder als Klang".

Wir freuen uns, dass so ein sichtbares Dankeszeichen gesetzt wird für Menschen, die sich auf unspektakuläre Art engagieren; stellvertretend für die vielen, die in ähnlicher Weise dazu beitragen, dass Kirche lebt.

Kathrin Günter, Kathrin Hönig

Fenster im Chor der Kirche Oberbalm
Fenster im Chor der Kirche Oberbalm