Kirchgemeinde Rüschegg 2010

"Strubi Zyte" – ein Stationentheater

Die politische Gemeinde Rüschegg wurde 1860 von Guggisberg abgetrennt. Grund war die verbreitete bittere Armut im Schwarzenburgerland. Zum 150jährigen Jubiläum der Gemeindegründung erinnerte ein Stationentheater an die damalige Zeit. Die frisch renovierte Kirche von Rüschegg spielte eine Hauptrolle dabei.

Eigentlich hatte er schon längst ausgedient. Der alte, gusseiserne Suppentopf hatte Rost angesetzt und stand über Jahre unbenutzt im Ofehüsi neben dem Rüschegger Pfarrhaus. Aber im Winter 2010 sollte er zu neuem Leben erweckt werden. Abend für Abend sollte heisser Dampf aus dem Topf aufsteigen und jenen, die von seinem Inhalt bekamen, Finger und Gemüt erwärmen. Nicht mit einem exquisiten Weinsüppchen, nicht mit einer reichhaltigen Bündnergerstensuppe. Nein, mit einer dürftigen Armensuppe wollte man die Besucher des Stationentheaters "Strubi Zyte" an die armseligen Verhältnisse des vorletzten Jahrhunderts heranführen. In einer Schrift über Rüschegg berichtet Friedrich Stoll:

"Der Gemeinderat von Guggisberg begann [1817], drei Suppenküchen einzurichten; [...] während 7 Monaten wurden jeden Tag 800 Portionen Suppe [...] ausgeteilt. Neben dieser Suppe wurde [...] viel gekochtes ‚Schweinekraut’ (Löwenzahn) gegessen. Nur so konnte die arme Bevölkerung vor dem Hungertod gerettet werden."

800 Portionen Suppe sind eine unvorstellbare Menge für eine einzige Gemeinde. Ähnlich schlimm wütete die Armut im ganzen Schwarzenburgerland.

Das Interesse für jene "strubi Zyte" im Rahmen unseres winterlichen Stationentheaters war immens. Bereits ein Monat vor Beginn waren alle 4000 Theatertickets ausverkauft, woraus sich schliessen lässt, dass der vergangene Hunger offensichtlich auch junge Leute von heute betroffen und interessiert macht.

Auslöser fu?r die Idee eines Stationentheaters war das 150-jährige Jubiläum der Gemeinde Ru?schegg, die 1860, aufgrund der nicht mehr zu bewältigenden Armut, von der damals sehr grossen Gemeinde Guggisberg abgetrennt wurde. Dieses historische Ereignis wurde eingebettet in eine Geschichte über Verunglimpfte, Vagabunde und Tagediebe aus dem einstigen Niemandsland zwischen Freiburg und Bern. Die Besucher bekamen Erzählungen aus der einheimischen Sagenwelt zu hören und fühlten mit Liebenden, die Opfer bringen mussten. Auch traf man unterwegs auf das aufkeimende Handwerk, für welches die Rüschegger so berühmt und berüchtigt waren: Der Korber, der Rechenmacher, die Chacheliflicker und die Hausierer zogen durch die nächtliche Winterlandschaft.

Die Regie fu?hrten Theo Schmid und Laurenz Suter, die das Stu?ck auch geschrieben hatten. Eindrücklich, wie die Rüschegger ihre Idee mittrugen: Mit mehr als 150 Schauspieler/-innen und Helfer/-innen waren es fast 10 Prozent der Wohnbevölkerung, die um den Ru?schegg-Hoger die alten Zeiten wieder aufleben liessen. Vier Abende die Woche, sechs Wochen lang, bei Schnee und frostigen Temperaturen. Aber mit viel Engagement!

Zur Schlussszene des Theaters traf man sich in der frisch renovierten Kirche Rüschegg. Vor dem monumentalen Holzschnitt "Schwarzwasser II" von Franz Gertsch wurde die entscheidende Gemeinderatssitzung inszeniert, in der es zu der Entscheidung kam, Rüschegg von Guggisberg abzutrennen. Manch einer war dankbar, sich auf der Kirchenbank nach der kalten Winterwanderung aufzuwärmen. Dadurch war die Kirche mitten im Geschehen und wurde Teil eines eindrücklichen Theatererlebnisses, welches heute noch nachwirkt.

In diesem Sinne waren die Jahre 2009/2010 mit der gelungenen Innenraumrenovation und der grossartigen Plattform für unsere Kirchgemeinde nicht "strubi", sondern äusserst gewinnende und "rosigi Zyte".

Linda Peter

Impressionen Stationentheater
Impressionen Stationentheater "Strubi Zyte"
Impressionen Stationentheater
Impressionen Stationentheater "Strubi Zyte"
Impressionen Stationentheater
Impressionen Stationentheater "Strubi Zyte"
Impressionen Stationentheater
Impressionen Stationentheater "Strubi Zyte"
Impressionen Stationentheater
Impressionen Stationentheater "Strubi Zyte"